Theorie – Potentiale digitaler Bildung

Das Internet hat in den letzten 20 Jahren die Welt im Sturm erobert. Beispiele dafür finden sich in jedem nur denkbaren Lebensbereich, von der Kommunikation, über Navigation und erst recht bei der Informationsbeschaffung. Wie die Welt zuvor funktioniert hat, ist für die heutigen Schulkinder unvorstellbar. Obwohl diese Tatsache nicht zu leugnen ist, gibt es auch einen konservativen Teil im Bildungsbereich, die der zunehmenden Digitalisierung des Schulalltags skeptisch gegenüberstehen. Sie sind der Auffassung, die Schüler/innen verbringen ohnehin schon zu viel Zeit vor den flackernden Bildschirmen und kennen sich vermutlich besser in der digitalen Welt aus, als ihre Lehrkräfte. Aus der eigenen Erfahrung würde ich dem widersprechen und möchte meine Forderung nach einer stärkeren Digitalisierung im Folgenden untermauern.

„Es ist Aufgabe schulischer Bildung, gemeinsam mit den Eltern die wertvollen Anlagen der Kinder und Jugendlichen zu erkennen und bestmöglich zu fördern, damit sie ihre individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten zur vollen Entfaltung bringen und diese für die eigene Lebensgestaltung ebenso wie für eine aktive Beteiligung an der Bewältigung gegenwärtiger und zukünftiger gesellschaftlicher Herausforderungen nutzen können.“

(MINISTERIUM FÜR BILDUNG, JUGEND UND SPORT DES LANDES BRANDENBURG 2015, S. 3)

 Dieses Zitat stammt aus dem ersten Absatz des Kapitels „Grundsätze“ aus dem Dokument ‚A Bildung und Erziehung in den Jahrgangsstufen 1-10‘ aus dem aktuellen Rahmenlehrplan Berlin und Brandenburgs. Allein dieser Grundsatz legitimiert jegliche Digitalisierung der Schule. Wenn unsere Gesellschaft sich zunehmend zu einer Wissensgesellschaft entwickelt, die auf eine Digitalisierung sämtlicher Lebensbereiche basiert, so wird es automatisch zur Aufgabe der Schule, die Heranwachsenden auf die dazugehörigen gesellschaftlichen Herausforderungen vorzubereiten.

Neben der Medienkompetenz die bereits im Beitrag „Theorie – Digitale Medienkompetenz im Geographieunterricht“ behandelt wurde, unterliegt die Schule noch einigen anderen Forderungen. Beispielsweise die des „Orientierungsrahmen[s] für den Lernbereich Globale Entwicklung“ (KMK, BMZ 2016) und dem Beschluss der Kultusministerkonferenz zur „Bildung in der digitalen Welt“ (KMK 2017). SCHRÜFER und BRENDEL (2018, S. 18ff) haben einige Überschneidungen dieser beiden Zielsetzungen herausgearbeitet (Abbildung 1). Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die Umsetzung der Ziele der Bildung für nachhaltiger Entwicklung eine zunehmend digitale Lösung erfordert.

Abbildung 1 Ausgewählte Kompetenzen Globalen Lernens/BNE und der Strategie „Bildung in der digitalen Welt“
(SCHRÜFER, BRENDEL 2018, S. 21)

Neben den verpflichtenden Vorgaben der verschiedensten Instanzen sprechen auch aus Sicht der Didaktik sehr überzeugende Argumente für eine Ausweitung der Digitalisierung. Ähnlich wie ROSA (2015) fordert auch PUENTEDURA (2019) eine Anpassung an den gesellschaftlichen Strukturwandel. Er stützt dies mit Studien der OECD (2017), die das Risiko eines Jobverlustes durch technische Automatisierung beschreiben. Daher plädiert er ähnlich wie die Kultusministerkonferenz mit ihren Beschlüssen für einen Strukturwandel in der Bildung. Neu hingegen ist der konkrete Vorschlag, wie diese Anpassung aussehen soll und welche methodischen Vorteile eine Digitalisierung der Schule haben kann. Puentedura beschreibt dieses Vorgehen im sogenannten SAMR-Modell.

SAMR setzt sich zusammen aus den Wörtern Substitution, Augmentation, Modification und Redefinition. Diese Wörter beschreiben die Abfolge des Transformationsprozesses durch die Digitalisierung in der Schule. Substitution (dt. Ersatz) beschreibt den Ersatz analoger Methoden durch den Einsatz digitaler Medien ohne einen funktionalen Mehrwert. Beispielsweise das Schreiben auf dem interaktiven Whiteboard, statt auf der klassischen Tafel. Die zweite Stufe Augmentation (dt. Erweiterung) impliziert eine funktionelle Erweiterung. Ein Beispiel aus dem Geographieunterricht wäre die analogen Karten durch einen digitalen Atlas zu ersetzen, der die Möglichkeit bietet bestimmte Zusatzinformationen einzublenden. Diese beiden Schritte fässt Puentedura unter dem Begriff Enhancement (dt. Verbesserung) zusammen. Die sich daran anschließenden Prozesse stellen die eigentliche Transformation dar. Modification (dt. Veränderung) ermöglicht es, die Aufgaben von Grund auf neu zu gestalten. Es wäre denkbar, statt der klassischen Quellenanalyse verschiedene Beiträge aus dem Internet zu vergleichen, um die unterschiedlichen Betrachtungsweisen in einem Video kreativ darzustellen. Der letzte Schritt der Redefinition (dt. Neubelegung) beschreibt die Möglichkeit, Aufgaben zu entwerfen, die ohne den Einsatz der digitalen Medien nicht lösbar wären. Beispielsweise das kollaborative und synchrone schreiben an einem Text. Der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt.

An dieser Kreativität scheitert auch die Akzeptanz der breiten Masse. Kritiker denken nur in den ersten beiden Schritten der Substitution und Augmentation. Aus diesem Grund sehen sie im Einsatz digitaler Medien nur eine triviale Ergänzung. Ziel muss es sein, die Möglichkeiten der höheren Stufen des SAMR-Modells anzustreben, um nicht nur einen Mehrwert zu erreichen, sondern das Bildungssystem ein Stück weit neu zu erfinden. Nur so können die Potentiale der Bildung voll ausgeschöpft werden, um der Aufgabe, die Jugendlichen bestmöglich auf die zukünftigen gesellschaftlichen Herausforderungen vorzubereiten, gerecht zu werden.

Literaturverzeichnis

KMK (2017): Bildung in der digitalen Welt. URL: https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2018/Strategie_Bildung_in_der_digitalen_Welt_idF._vom_07.12.2017.pdf (01.03.2019).

KMK, BMZ (2016): Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung. Bonn. URL: https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2015/2015_06_00-Orientierungsrahmen-Globale-Entwicklung.pdf (01.03.2019).

MINISTERIUM FÜR BILDUNG, JUGEND UND SPORT DES LANDES BRANDENBURG (2015): Rahmenlehrplan. Jahrgangsstufen 1-10. Staßfurt. URL: https://bildungsserver.berlin-brandenburg.de/fileadmin/bbb/unterricht/rahmenlehrplaene/Rahmenlehrplanprojekt/amtliche_Fassung/Impressum_WEB_2015_11_09.pdf.

OECD (2017): Future Of Work And Skills. Hamburg. URL: http://www.oecd.org/els/emp/wcms_556984.pdf (01.03.2019).

PUENTEDURA, R. (2019): Science, Learning, and Exploration: SAMR and the EdTech Quintet. URL: http://hippasus.com/rrpweblog/archives/2019/02/ScienceLearningAndExploration_SAMRAndTheEdTechQuintet.pdf (01.03.2019).

ROSA, L. (2015): Verlust und Neugewinn: Lernen und Lehren im Medienumbruch. Potsdam.

SCHRÜFER, G., BRENDEL, N. (2018): Globales Lernen im digitalen Zeitalter. In: BRENDEL, N., SCHRÜFER, G., SCHWARZ, I. (Hrsg.): Globales Lernen im digitalen Zeitalter. Münster, New York, S. 9–34.

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